Eine Athletin, die tränenüberströmt auf ein völlig verängstigtes Pferd einschlägt. Die die Hilfsmittel (!) Gerte und Sporen über jegliches Maß anwendet , dem Tier im Maul reißt. Eine Trainerin, die ihre Sportlerin weiter anstachelt und selbst versucht das Tier mit der Faust zu bewegen. Szenen, die entsetzen und sprachlos machen. Szenen, die Leider so bei den olympischen Spielen in Tokio passiert und um die Welt gegangen sind. Nach Olympia 2024 soll das Reiten nun aus dem Fünfkampf gestrichen und ersetzt werden.
Was ist wichtiger? Traditionen oder Tierwohl? In diesem Beitrag versuche ich Fakten, Hintergrundgeschichte und Meinungen zusammenzufassen. Allerdings möchte ich auch meine Sicht (als selber Pferdesport begeisterter Mensch mit Reiterfahrung) darstellen.
Geschichte
Der moderne Fünfkampf wurde von Pierre de Coubertin erfunden und bei den olympischen Spielen 1912 in Schweden ins Wettkampfprogramm aufgenommen (Disziplinen: Reiten, Fechten, Schießen, Schwimmen, Laufen). Er basiert auf dem antiken Pentathlon. Den Leitgedanken der Sporart formuliert Coubertin so: “Einem Meldereiter wird im feindlichen Gelände sein Pferd getötet, er verteidigt sich zunächst mit dem Degen, bahnt sich dann den weiteren Weg mit der Pistole, muss durch einen Fluß schwimmen und legt die letzte Strecke bis zum Ziel querfeldein laufend zurück.”
Der militärische Charakter des Wettkampfs war beabsichtigt. Bis zum zweiten Weltkrieg wurde der moderne Fünfkampf fast ausschließlich von Athleten des Militärs und der Polizei betrieben. Zu beachten für das eigentliche Thema des Beitrags: Diese Athleten waren ausgebildete Reiter, die mit ihren eigenen Tieren antraten. Alle Disziplinen des modernen Fünfkampf gehörten zu dieser Zeit zur militärischen Grundausbildung.
Die Reihenfolge der Disziplinen hat sich ebenso geändert, wie die Zeitspanne über die sich ein Wettkampf erstreckt. Der Fünfkampf startet mit dem Schwimmen (200m), dann folgt das Degenfechten. Danach Reiten (Springreiten) und abschließend das Combined (3km Laufen und Schießen mit Laserpistole). Bis 1996 (Atlanta) wurde ein Pentathlon über 5-6 Tage (ab und zu sogar mit einem Pausentag) ausgetragen. Inzwischen wird er komplett an einem Tag bestritten. Dazu werden extra Stadien konzipiert um alle fünf Disziplinen am gleichen Ort austragen zu können, so auch in Tokio.
Konflikte
Wo liegen nun die Schwierigkeiten/Probleme mit dem Reitsport im modernen Fünfkampf? Warum eine solche Traditionssportart so gravierend verändern? Einige Probleme resultieren bereits aus dem aktuellen Reglement der Disziplin. So treten die Athleten, die größtenteils Amateurreiter/innen sind, nicht mit ihrem eigenen Pferd an (die meisten besitzen gar keines).
Stattdessen werden den Sportler/innen vom Veranstalter Pferde gestellt. Diese werden 20 Minuten vor Wettkampfbeginn im Losverfahren den Reiter/innen zugeteilt. In der kürze der Zeit ist kein Aufbau einer Bindung oder gar Vertrauensbasis zwischen Mensch und Tier möglich. Letzteres wird vom Lebewesen quasi zum Sportgerät “degradiert”.
Schwierigkeiten und Zwischenfälle gibt es seit Jahren immer wieder z.B. Verweigerungen und Stürze. Oft liegen diese jedoch nicht oder nicht nur am Pferd. Falsche Hilfen und Signale der häufig überforderten, unausgebildeten Reitern können die sensiblen Tiere massiv irritieren. Zum besseren Verständnis ein Beispiel: Durch Schenkeldruck des Reiters wird signalisiert, dass das Pferd vorwärts/schneller laufen soll. Gleichzeitig zieht der Reiter jedoch an den Zügeln, was das gegenteilige Signal zum Schenkeldruck ist. Das Tier weiß nicht was der Athlet von ihm verlangt. Es reagiert entsprechend indem es verweigert, buckelt oder ähnliches.
Der Eklat
Dies wurde auch bei dem Vorfall sichtbar der nun für die Entscheidung zur Abschaffung des Reitsports im Fünfkampf ausschlag gebend war. Die deutsche Athletin treibt ihr Pferd vorwärts hält sich aber gleichzeit quasi an den Zügeln fest. Das Tier ist sichtlich irritiert und verängstigt.
Hier beginnt das eigentliche Fehlverhalten sowohl der Sportlerin als auch der Trainerin. Anstatt das sichtlich unter Stress stehende Pferd und die aufgebrachte Reiterin zu beruhigen fordert die Trainerin sie auf “doch mal richtig drauf zu hauen” und boxt selbst dem Tier in die Seite.
Richtig wäre, ruhig auf Tier und Mensch einzuwirken. Pferd und Reiter/in hätten so schnell wie möglich aus der Situation genommen werden müssen. Eigentlich durch die Trainerin, aber wenn nötig auch durch die Jury/ die Veranstalter.
Neben der großen Bühne
Der Leistungssport bzw. die großen Turniere sind jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Viel größere Missstände zeigen sich bei kleineren Veranstaltungen. Für diese Turniere mit ebenfalls hauptsächlich unzureichend trainierten Reiter/innen wollen die wenigsten Besitzer ihre guten Pferde zur Verfügung stellen. Diese Tiere sind zudem meist sehr teuer. Je höher das Niveau des Pferdes desto höher auch der Preis.
Die Veranstalter müssen sich somit nach alternativen umsehen und greifen (gerade für Turniere in Deutschland) oft auf günstige Pferde aus Osteuropa zurück. Diese beispielsweise aus Polen kommenden Tiere sind nicht selten in schlechtem Zustand. Sie sind geschwächt/abgemagert durch den Transport, krank oder für einen Springparcours nicht ausreichend ausgebildet.
Die Entscheidung und wie die Sportler/innen damit umgehen
Diskussionen um die Disziplin Reiten im modernen Fünfkampf gibt es also schon länger. Der Weltverband UIPM (Union Internationale de Pentathlon Moderne) nahm allerdings erst den Eklat bei den olympischen Spielen in Tokio zum Anlass eine Entscheidung herbeizuführen. Bei einer Sitzung im November beschloss der Verband das Reiten aus dem modernen Fünfkampf zu streichen. Es soll durch eine andere Sportart ersetzt werden. Welche das ist ist noch nicht klar, möglich ist eine Disziplin aus dem Radsport. Allerdings wird diese Änderung erst nach Olympia 2024 in Paris in Kraft treten.
Der Tierschutzbund befürwortet dieses “umsatteln” im modernen Fünfkampf. Zum Wohl der Tiere ist diese Entscheidung richtig und wichtig. Doch wie gehen die Athlet/innen mit diesem Eingriff in ihren Sport um?
Es gibt einige Athleten, welche sich bereits vor der endgültigen Entscheidung gegen eine Abschaffung der Disziplin ausgesprochen haben. Dazu gehören beispielsweise der Olympiasieger der Spiele in Tokio, Joe Choong, oder auch der deutsche Fünfkämpfer Matthias Sandten. Choong empfindet die Entscheidung als schockierend und zieht sogar einen Ausstieg aus der Sportart in Erwägung (“Wenn das Reiten durch Fahrradfahren ersetzt wird bin ich nicht mehr dabei”). Matthias Sandten erklärt den modernen Fünfkampf gar als “tot” sollte eine Disziplin gestrichen werden. Er argumentiert mit der Historie des Wettbewerbs und betont, dass es zum modernen Fünfkampf gehöre “ein Pferd notfalls auch über den Parcours zu zwingen”. Dies sei aber in der heutigen Zeit nicht mehr akzeptiert, so der deutsche Athlet.
Fazit
Die Meinungen gehen also auseinander. Ich reite selbst und interessiere mich sehr für Pferdesport. Aus dieser Position heraus bin ich mit der Abschaffung des Reitens im modernen Fünfkampfs mehr als einverstanden. Man kann weder von Mensch noch Tier erwarten, dass eine Bindung in einem Zeitfenster von 20 Minuten entsteht. Reiten ist eine durchaus komplexe Sportart und erfordert Zeit. Schlecht ausgebildete Reiter/innen und Pferde führen unweigerlich zu Szenarien wie häufigen Stürzen, Verweigerungen, Verzweiflung und Angst.
In diesem Fall zählt Tierwohl vor Tradition. Und in Zukunft hoffentlich Drahtesel statt Pferd.
Quellen:
https://www.sueddeutsche.de/sport/olympia-fuenfkampf-reiten-1.5456527 https://www.sportschau.de/moderner-fuenfkampf/moderner-fuenfkampf-ohne-reiten-erst-nach-olympia-in-paris-100.html https://www.dvmf.de/faszination-moderner-fuenfkampf https://www.dw.com/de/meinung-fuenfkampf-macht-notwendigen-schritt-richtung-moderne/a-59706228 https://www.deutschlandfunk.de/moderner-fuenfkampf-schlecht-geritten-100.html
Fotos:
https://www.modernerfuenfkampf.at/de/oesterr.-verband-fuer-modernen-fuefnkampf/moderner-fuenfkampf-international https://www.rtl.de/cms/moderner-fuenfkampf-wie-sich-eine-sportart-brutal-zerlegt-verschwoerung-gegen-den-verband-4861750.html https://www.deutschlandfunk.de/moderner-fuenfkampf-schlecht-geritten-100.html